Es kommt Bewegung in die deutsche Rechtsprechung zu Einkäufen in Nicht-EU-Ländern während einer von deutschen Reiseveranstaltern organisierten Pauschalreise. Die dargestellte Rechtsprechung bezieht sich auf Teppichkäufe in der Türkei, findet aber ebenso Anwendung auf Schmuckkäufe. Auch für Einkäufe in anderen Nicht-EU-Ländern können die Urteile von Bedeutung sein.

Das Amtsgericht Würzburg hat (16 C 207/13) im Oktober 2014 zu Gunsten des Verbrauchers entschieden und nun auch 2015 das Oberlandesgericht Stuttgart (5 U 147/14) in dem dort zu entscheidenden Fall.

Beide entschiedenen Fälle gingen zurück auf Reisen, die im Jahr 2010 stattfanden und in deren Verlauf die Beklagten Teppichkäufe in der Türkei tätigten. Beiden Reiseverläufen war gemein, dass der Besuch der Teppichfabrik fester Bestandteil des Ausflugprogrammes eines deutschen Reiseanbieters war. Wie üblich war in den Kaufverträgen türkisches Recht vereinbart worden. Hierauf beriefen sich die Verkäufer und verlangten die Zahlung des Restkaufpreises, den die Käufer sich außergerichtlich geweigert hatten zu zahlen, weil sie zwischenzeitlich von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hatten.

Beide Gerichte und insbesondere das Oberlandesgericht Stuttgart führten in ihren Begründungen sehr detailliert aus, dass vorliegend, so wie auch hier schon seit mehreren Jahren vertreten wird, deutsches Recht Anwendung findet.

Maßgebend sei nicht allein, dass der Vertrag in deutscher Sprache abgefasst sei, der Kaufpreis in Euro vereinbart sei, sondern das der Besuch des Ladengeschäfts zum geplanten Gesamtprogramm des Reiseveranstalters gehört und die Reiseteilnehmer quasi dorthin geschleust werden. Das mit Einverständnis des Verkäufers erfolgte Verbringen in das Geschäft, wovon beide Gerichte ausgingen, stelle ein gezieltes einvernehmliches Zuführen von Touristen dar um Absatzgeschäfte zu tätigen. Zum Tragen kam auch das der Reisende sich der Schleusung nicht entziehen konnte und das Geschäft von ihm nicht zufällig aufgesucht wurde. Wie z. B. bei einem Spaziergang durch die Straßen.

Der Händler hatte eingewandt, dass ihm unbekannt gewesen sei, aus welchem Grund sein Geschäft aufgesucht worden sei, auch habe er keine Kenntnis von der Reiseplanung. Dieser Vortrag wurde von dem Gericht als unglaubwürdig eingestuft. Auch aus hiesiger Sicht dürfte der Wahrheitsgehalt der Aussage des Händlers nicht sehr hoch sein. Letztlich handelt es sich immer um dieselben Händler und Reiseveranstalter, die sich zweifelhafter Praktiken bedienen.

Es war daher, so die Rechtsprechung, gemäß Art. 6 Abs. 1 b Rom-I-VO deutsches Recht anzuwenden. Die in dem Vertrag getroffene Rechtswahl des türkischen Rechts war unwirksam. Grund: sofern die Parteien ein Recht gewählt haben, das einen geringeren Schutz bietet, als das sonst nach Art 6 Rom I zwingend anzuwendende Recht, ist die Freiheit der Rechtswahl bei Verbraucherverträgen eingeschränkt. Es kommt deshalb darauf an, welches Recht den größeren Schutz für den Verbraucher bereithielt. Im Verhältnis zum türkischen Recht ist das OLG Stuttgart jedenfalls zu der Auffassung gelangt, dass der deutsche Verbraucherschutz stärker ausgeprägt ist und deshalb günstiger für den Verbraucher ist. Die Käufer konnten in den vorliegenden Fällen daher von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen und sich auf die daraus resultierenden Rechte berufen. Das bedeutete, das die Verträge rückabzuwickeln waren, einschließlich der Rückzahlung der geleisteten Anzahlung.

Nachdem der Tourismus in der Türkei fast zum Erliegen gekommen ist suchen sich die Anbieter von Schmuck- und Teppichwaren andere Standorte. Verstärkt scheint dies Marokko zu sein. Übereinstimmend schildern die zurückkommenden Reisenden dieselben Vorgehensweisen, wie sie aus der Türkei bekannt sind: Günstige Pauschalreisen, entweder als Rundreise oder mit einem umfangreichen Ausflugsprogramm. Ein Programmpunkt ist das Kennenlernen traditioneller Handwerkskunst, wozu Schmuck- und Teppichhändler aufgesucht werden. Die Reisenden werden in den Verkaufsstellen bereits erwartet, voneinander getrennt und von gut geschultem Personal in Beschlag genommen, um so besser zu Schmuckkäufen und Teppichkäufen animieren zu können. Die Verträge sind auf Deutsch, der Verkaufspreis ist in Euro ausgewiesen. Die Kaufverträge werden in der Regel nicht ausgehändigt. Auch die Reiseveranstalter sind identisch. Für den Fall, dass die oben dargestellten Voraussetzungen vorliegen, kann die neue Rechtsprechung auch auf Einkäufe in Marokko Anwendung finden, was natürlich auch für andere Nicht-EU-Länder gilt.

Ob weitere Gerichte der Rechtsprechung des Amtsgerichts Würzburg und des Oberlandesgerichts Stuttgart folgen, bleibt abzuwarten.

Hierzu gibt es einen auch Video-Beitrag von MDR Investigativ in dem ich mich zu diesem Thema geäußert habe:

Kaffeefahrten de luxe – Das Geschäft mit den Billigreisen | Exakt – Die Story | MDR