Während das „Internationale“ Vertragsrecht aufgrund von Vorarbeiten auf wissenschaftlicher und praktischer Ebene eine zunehmende rechtliche Verdichtung erfahren hat, sind die Vergabeverfahren weniger untersucht und vereinheitlicht (siehe aber Hök, Zum Vergabeverfahren im Lichte des Internationalen Privatrechts, ZfBR 2010, 440 ff.). Auf europäischer Ebene schaffen die Europäischen Vergaberichtlinien Rechtsharmonie und einen Rahmen für die Ausschreibung von Aufträgen. Als wesentliche Elemente zu nennen sind die europaweite Bekanntmachungspflicht, die Vereinheitlichung der Vergabeverfahren und das Diskriminierungsverbot. Außerhalb der Europäischen Union allerdings gibt es keine Autorität für den Erlass einheitlicher Vergabevorschriften. Unmittelbaren Einfluss auf die Vergabe haben lediglich die finanzierenden Banken. Vor allem die Weltbankgruppe (International Bank for Reconstruction and Development (IBRD oder BIRD), Association Internationale de Développement (IDA), International Finance Corporation, Mulitlateral Investment Guarantee Agengy, International Centre for Settlement and Investment Disputes), die Europäische Investmentbank (EIB), die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), aber auch die Inter-American Development Bank und die Japan Bank for International Cooperation (JBIC) haben sich insoweit hervorgetan. Daneben existieren z.B. Ausschreibungsbedingungen der FIDIC.

Die Weltbankgruppe, die JBIC und die KfW geben umfangreiche Richtlinien für die Vergabe von Aufträgen heraus, die von ihnen finanziert werden. Die Vergaberichtlinien der Weltbank finden auf alle Arten von Aufträgen, Lieferungen und Leistungen Anwendung. Die Weltbank hat ergänzend Standard Bidding Documents (SBD´s) veröffentlicht, und zwar jeweils getrennt für „Works“ (SBDW) und „Supply and Installation of Plant and Equipment“. Die SBDW basieren seit Mai 2005 auf dem FIDIC Red Book 1999 in einer sog. harmoniserten Version. Die SBD Plant basieren auf dem Vertragsmuster der ENAA für Plant 1992.

Allein das von der Weltbank zur Verfügung gestellte Finanzvolumen ist beträchtlich und steigt kontinuierlich an. 1978 betrug das eingesetzte Finanzvolumen der Weltbank 8,8 Milliarden USD in 46 Ländern. 1987 betrug es knapp 26 Milliarden USD. 1990 lag es bei ca. 29 Milliarden USD. Bis 1997 pendelte sich das Finanzvolumen bei jährlich ca. 21 Milliarden USD ein. Nach weiteren starken Jahren 1998 und 1999 mit einem Volumen von durchschnittlich 28 Milliarden USD sank das Kreditaufkommen im Folgejahr auf zunächst 15 Milliarden USD, um dann wieder auf 17 Milliarden (2001), 19,5 Milliarden (2002) und 18,5 Milliarden (2003) anzusteigen. Dieses Volumen entfällt auf ca. 200 Maßnahmen p.a. mit ca. 40.000 Verträgen mit unterschiedlichen Größenordnungen. Ca. 30 % dieses Volumens entfällt auf Baumaßnahmen. Die Kenntnis der Weltbank-Bedingungen ist im internationalen Geschäft also die Voraussetzung für die Beteiligung an namhaften Ausschreibungen vor allem im Bereich von Infrastrukturmaßnahmen. Die beteiligten Finanzierungsinstitute sind satzungsgemäß gehalten, die Einhaltung der Ausschreibungsbedingungen und der mit ihnen vorgegebenen Abwicklungsmodalitäten peinlich genau zu überwachen. Für interessierte Unternehmen folgt hieraus, dass der Verhandlungsspielraum bei der Vergabe von Projekten, die von der Weltbank (oder vergleichbaren Instituten) finanziert werden, gering ist, zumal z.B. die Weltbank eine Reihe von Vergabebedingungen für zwingend erachtet.

Im Mai 2005 hat die Weltbank neue SBD works und SBD plant herausgegeben. Die SBD works basieren nun auf dem Red Book 1999, allerdings in einer sog. harmonisierten Fassung. Die sog. harmonised version weicht gelegentlich vom FIDIC Original ab. Hier einige dieser Abweichungen in Stichworten:

  • Der Anhang zum Angebot (Appendix to Tender) wird in Contract Data umgewandelt.
  • Neue Definition von „Unvorhersehbar“ in Klausel 1.1.6.8 mit Auswirkungen auf Klausel 4.12 (Bodenverhältnisse)
  • Modifikation von Klausel 1.2, insbesondere bezüglich der Gewinnmarge, die vorbehaltlich anders lautender Vereinbarungen auf 5 % festgelegt wird
  • Ansprüche des Bestellers (Klausel 2.5)
  • Das Recht des Bestellers, einseitig die Befugnisse des Ingenieurs zu verändern (Klausel 3.1)
  • Einschränkung der Unabhängigkeit des Ingenieurs in Bezug auf wesentliche Befugnisse, z.B. in Bezug auf die Möglichkeit zur Gewährung von Bauzeitverlängerung und Mehrkosten (Klausel 3.1)
  • Das Recht des Bestellers, den Ingenieur einseitig auszutauschen (Klausel 3.4)
  • Die Ausweitung des Rechts des Bestellers, die Erfüllungssicherheit in Anspruch zu nehmen (Klausel 4.2): Das Recht wird auf alle Ansprüche erweitert, die aus dem Vertrag erwachsen.
  • In Klausel 4.4 wird der Unternehmer zusätzlich insbesondere verpflichtet, lokalen Subunternehmern eine faire Chance zu geben
  • Veränderungen in Bezug auf den Anspruch auf Bildung neuer Preise und in Bezug nicht ausgepreiste Leistungen, die im Leistungsverzeichnis enthalten sind (Klausel 12.3)
  • Einschränkung der Preisanpassungsmöglichkeiten (Klausel 13.7)
  • Rückzahlung des Advance Payment wird modifiziert (Klausel 14.2)
  • Der Unternehmer kann die 2. Hälfte des Sicherheitseinbehaltes ablösen, wenn das Taking-Over Certificate ausgestellt ist (Klausel 14.9)
  • Partielle Einschränkung des Kündigungsrechts des Bestellers (Klausel 15.5)
  • Teilweise Einschränkung des Rechts auf Beendigung der Arbeiten (Klausel 16.2)
  • Risiken des Bestellers werden auf solche beschränkt, die sich direkt auf die Durchführung der Arbeiten auswirken (Klausel 17.3)
  • Einschränkung der Folgen von force majeure auf solche Fälle, in denen wesentliche vertragliche Verpflichtungen berührt werden (Klausel 19.4)
  • Aus dem DAB (Dispute Adjudication Board) wird ein DB (Dispute Board), dessen Mitglieder über sprachliche und fachliche Qualifikationen verfügen müssen (Klausel 20.2)

Seit 2005 hat die Weltbank die harmonisierte Version des Red Book mehrfach geändert, so im Mai 2006, im März und April 2007, im August 2010 sowie im März 2012. Nutzer müssen sehr genau prüfen, welche Version verwende wird. Die Version 2012 enthält Änderungen gegenüber der Vorversion in folgenden Klauseln:

1.1.3.7, 1.1.3.9, 1.1.6.10, 4.2., 4.13, 6.7. 6.20, 6.24, 7.7, 8.1, 12.3, 13.8, 14.2, 14.7, 14.9, 15.6, 16.2, 17.3, 17.6, 18.1, 119.4, 20.1., 20.4, 20.6.

Einzelheiten zur Praxis finden Sie bei Hök, Internationales Vergaberecht der Weltbank für Bau und Anlagenbau auf der Grundlage von FIDIC und ENAA-Musterverträgen in ZfBR 2004, 731 ff.; Hök, Zum FIDIC Red Book „harmonised version“ als Variante des FIDIC Red Book 1999 und zu den Weltbank Standard Bidding Documents Works 2005, ZfBR 2005, 742.

Die multilateralen Entwicklungsbanken haben darüberhinaus dem vernehmen nach beschlossen, die Lizenzversion nicht länger zu verfolgen und FIDIC Standards mit bankgestützten Particular Conditions zu komplementieren. Ähnliches zeichnet sich auch für Design & Build Verträge ab.

Literaturempfehlungen: Hök, Internationales Bau- und Architektenrecht in: Korbion, Baurecht, Köln 2005; Bell, Will the Silver Book become the World Bank´s New Gold Standard, ICLR 2004, 164 ff., Hök, Handbuch zum Internationalen ausländischen Baurecht, 2. Auflage, Heidelberg 2012.